Aktuelles

Hier haben wir für Sie interessante aktuelle Informationen und Gerichtsentscheidungen rund um das Arbeitsrecht zusammengestellt.

Gleiches Entgelt für Männer und Frauen

Eine Frau hat Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt. Daran ändert es nichts, wenn der männliche Kollege ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt.

Die Klägerin ist seit dem 1. März 2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundentgelt betrug anfangs 3.500,00 Euro brutto. Ab dem 1. August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag, der ua. die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems regelte. Die für die Tätigkeit der Klägerin maßgebliche Entgeltgruppe des Haustarifvertrags sah ein Grundentgelt iHv. 4.140,00 Euro brutto vor. In § 18 Abs. 4 des Haustarifvertrags heißt es: “Für den Fall, dass das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige tarifliche Entgelt (…) überschreitet, erfolgt die Anpassung um nicht mehr als 120,00 €/brutto in den Jahren 2018 bis 2020“ (Deckelungsregelung). In Anwendung dieser Bestimmung zahlte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. August 2018 ein Grundentgelt iHv. 3.620,00 Euro brutto, das in jährlichen Schritten weiter angehoben werden sollte.

Neben der Klägerin waren als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb der Beklagten zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigt, einer davon seit dem 1. Januar 2017. Die Beklagte hatte auch diesem Arbeitnehmer ein Grundentgelt iHv. 3.500,00 Euro brutto angeboten, was dieser jedoch ablehnte. Er verlangte für die Zeit bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung, dh. für die Zeit bis zum 31. Oktober 2017 ein höheres Grundentgelt iHv. 4.500,00 Euro brutto. Die Beklagte gab dieser Forderung nach. Nachdem die Beklagte dem Arbeitnehmer in der Zeit von November 2017 bis Juni 2018 – wie auch der Klägerin – ein Grundentgelt iHv. 3.500,00 Euro gezahlt hatte, vereinbarte sie mit diesem ab dem 1. Juli 2018 eine Erhöhung des Grundentgelts auf 4.000,00 Euro brutto. Zur Begründung berief sie sich ua. darauf, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Ab dem 1. August 2018 zahlte die Beklagte dem männlichen Arbeitnehmer ein tarifvertragliches Grundentgelt nach derselben Entgeltgruppe wie der Klägerin, das sich in Anwendung der „Deckelungsregelung“ des § 18 Abs. 4 des Haustarifvertrags auf 4.120,00 Euro brutto belief.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung rückständiger Vergütung für die Zeit von März bis Oktober 2017 iHv. monatlich 1.000,00 Euro brutto, rückständige Vergütung für den Monat Juli 2018 iHv. 500,00 Euro brutto sowie rückständige Vergütung für die Zeit von August 2018 bis Juli 2019 iHv. monatlich 500,00 Euro brutto. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse ihr ein ebenso hohes Grundentgelt zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Dies folge daraus, dass sie die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichte. Da die Beklagte sie beim Entgelt aufgrund des Geschlechts benachteiligt habe, schulde sie ihr zudem die Zahlung einer angemessenen Entschädigung iHv. mindestens 6.000,00 Euro. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts ganz überwiegend Erfolg.

Die Beklagte hat die Klägerin in der Zeit von März bis Oktober 2017 sowie im Juli 2018 dadurch aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, dass sie ihr, obgleich die Klägerin und der männliche Kollege gleiche Arbeit verrichteten, ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt hat als dem männlichen Kollegen. Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch nach Art. 157 AEUV*, § 3 Abs. 1** und § 7 EntgTranspG*** auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege. Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege, begründet die Vermutung nach § 22 AGG****, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Der Beklagten ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere kann sich die Beklagte für den Zeitraum von März bis Oktober 2017 nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Für den Monat Juli 2018 kann die Beklagte die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts insbesondere nicht mit der Begründung widerlegen, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt.

Für den Zeitraum ab dem 1. August 2018 ergibt sich der höhere Entgeltanspruch der Klägerin bereits aus dem Tarifvertrag. Entgegen der Auffassung der Beklagten findet die „Deckelungsregelung“ in § 18 Abs. 4 Haustarifvertrag auf die Klägerin keine Anwendung, weil diese zuvor kein tarifliches, sondern ein einzelvertraglich vereinbartes Entgelt erhalten hat.

Der Senat hat dem auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG***** gerichteten Antrag der Klägerin teilweise entsprochen und dieser eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts iHv. 2.000,00 Euro zugesprochen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21 –

Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 3. September 2021 – 1 Sa 358/19 –

*Art. 157 Abs. 1 AEUV:

Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.

**§ 3 EntgTranspG (Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts):

(1) Bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ist eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten.

***§ 7 EntgTranspG (Entgeltgleichheitsgebot):

Bei Beschäftigungsverhältnissen darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts.

****§ 22 AGG (Beweislast)

Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

*****§ 15 AGG (Entschädigung und Schadensersatz)

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts 10/23 vom 16.02.2023

Urlaub verjährt nicht automatisch nach drei Jahren

Der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern verfällt nur, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret auf den drohenden Verfall des Urlaubs hingewiesen hat. Dies hatte das BAG bereits 2019 unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung festgestellt (BAG, Urteil vom 19.02.2019, 9 AZR 541/15).

Nach deutschem Recht können Arbeitnehmer ihren Anspruch auf Urlaub grundsätzlich dennoch verlieren, denn auch dieser Anspruch unterliegt den gesetzlichen Verjährungsfristen von drei Jahren (§ 195 BGB).

Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) aber entschieden, dass auch eine Verjährung von Urlaubsansprüchen nicht ohne weiteres erfolgt (EuGH, Az C-120/21; C-518/20; C-727/20).

Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass Beschäftigte den Urlaubsanspruch tatsächlich wahrnehmen können. Der Arbeitgeber muss hier also aktiv werden und den Arbeitnehmer im laufenden Urlaubsjahr dazu auffordern, den Urlaub auch zu nehmen. Wenn der Arbeitgeber dies versäumt, kann er sich auch nicht auf die Einrede der Verjährung berufen.

Arbeitgeber müssen Arbeitszeit erfassen

In einem Grundsatzurteil hat das Bundesarbeitsgericht nun festgestellt, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen.

Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG* ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggfs. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21 –

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2021 – 7 TaBV 79/20 –

*§ 3 ArbSchG lautet auszugsweise:

§ 3 Grundpflichten des Arbeitgebers

(1) 1Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. 2Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. …

(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten

1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen …

(Pressemitteilung des BAG Nr. 35/22 vom 13.09.2022)

Nachweisgesetz 2022

Arbeitgeber müssen künftig bei Einstellungen von Arbeitnehmern mehr Informationen geben als bisher. Das neue Nachweisgesetz gilt seit dem 1. August 2022.

Schon bisher musste der Arbeitgeber die folgenden Vertragsbedingungen schriftlich niederlegen und dem Arbeitnehmer aushändigen:

- Name und Anschrift der Vertragsparteien

- Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses

- Dauer des Arbeitsverhältnisses bei Befristung

- Arbeitsort

- Bezeichnung oder Beschreibung der Tätigkeit

- Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts

- Arbeitszeit

- Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs

- Kündigungsfristen

- Allgemeiner Hinweis auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind.

Ab 1. August 2022 kommen noch folgende Angaben hinzu:

- Enddatum des Arbeitsverhältnisses

- Ggf. freie Wahl des Arbeitsorts durch den Arbeitnehmer

- Sofern vereinbart, die Dauer der Probezeit

- Die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts einschließlich der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung

- Die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen

- Sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen

- Ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung

- Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt, der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; die Nachweispflicht entfällt, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist.

- Das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage; § 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden.

Die neuen zusätzlichen Angaben müssen bei Neueinstellungen ab dem 1. August 2022 berücksichtigt werden. Bereits am ersten Arbeitstag muss dem Arbeitnehmer die Niederschrift mit den Informationen über den Namen und die Anschrift der Vertragsparteien, das Arbeitsentgelt und seine Zusammensetzung sowie über die Arbeitszeit ausgehändigt werden. Die weiteren Angaben müssen spätestens in sieben Kalendertagen nachgereicht werden.

Arbeitnehmer, die vor dem 1. August 2022 eingestellt wurden, müssen nur dann schriftlich über ihre wesentlichen Arbeitsbedingungen unterrichtet werden, wenn sie den Arbeitgeber dazu auffordern. Dann gilt eine Frist von sieben Tagen. Informationen über den Urlaub, die betriebliche Altersversorgung, die Pflichtfortbildung, das Kündigungsverfahren und geltende Kollektivvereinbarungen müssen spätestens innerhalb eines Monats ausgehändigt werden.

Ändern sich wesentliche Arbeitsbedingungen in bestehenden Arbeitsverhältnissen, dann muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer spätestens am Tag der Änderung darüber informieren. Über Gesetzesänderungen oder Änderungen in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen muss der Arbeitgeber wie bisher nicht schriftlich informieren.

Neu ist auch, dass dem Arbeitgeber ein Bußgeld in Höhe von bis zu 2.000 Euro droht, wenn er seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.

Mindestlohn 2022

Der gesetzliche Mindestlohn steigt zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro brutto je Stunde, die Mini-Job-Grenze erhöht sich auf 520 Euro.

Neue Mindestlöhne für Beschäftigte in der Pflege

Der Mindestlohn für Beschäftigte in der Pflege steigt nach der 5. Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche bis Dezember 2023 in drei Schritten. In einem ersten Schritt wurde der Mindestlohn für Pflegefachkräfte zum 1. September 2022 auf 17,10 Euro angehoben.

Fristlose Kündigung wegen Maskenverweigerung

Fristlose Kündigung wegen Verstoß gegen die Maskenpflicht im Betrieb.

Die beharrliche Weigerung, entgegen gesetzlicher Anordnung bzw. berechtigter arbeitgeberseitiger Weisung eine Mund-Nasen-Bedeckung zum Schutz anderer Menschen vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu tragen, ist typischerweise geeignet, auch die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

Hält ein Arbeitnehmer trotz Abmahnungen Vorschriften, die dem Schutz anderer Arbeitnehmer dienen nicht ein, kann dies abhängig vom Gefahrenpotential auch die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.

Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, Urteil vom 04.11.2021, 3 Ca 3052/21

Berufung eingelegt beim Landesarbeitsgericht Bremen unter dem Aktenzeichen 2 Sa 1/22.

Anspruch auf Corona-Test

Ab dem 23.04.2021 sind im neu gefassten § 5 Corona-ArbSchV (SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung) nunmehr jedem Beschäftigten mindestens zwei Tests pro Kalenderwoche anzubieten.

§ 5 Corona-ArbSchV

Tests in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2

(1) Zur Minderung des betrieblichen SARS-CoV-2-Infektionsrisikos hat der Arbeitgeber Beschäftigten, soweit diese nicht ausschließlich in ihrer Wohnung arbeiten, mindestens zweimal pro Kalenderwoche einen Test in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 anzubieten.

(2) Nachweise über die Beschaffung von Tests nach Absatz 1 oder Vereinbarungen mit Dritten über die Testung der Beschäftigten sind vom Arbeitgeber bis zum 30. Juni 2021 aufzubewahren.

Anspruch/Verpflichtung Home-Office?

§ 28b Abs. 7 IfSG (Infektionsschutzgesetz)

"(7) Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Die Beschäftigten haben dieses Angebot anzunehmen, soweit ihrerseits keine Gründe entgegenstehen. …"

Arbeitgeber müssen danach Home-Office anbieten und dürfen von einem solchen Angebot nur absehen, wenn "zwingende betriebsbedingte Gründe" entgegenstehen.

Arbeitnehmer müssen das Angebot annehmen, soweit der Tätigkeit im Home-Office aus Sicht des Arbeitnehmers "keine Gründe entgegenstehen".

In der Gesetzesbegründung heißt es: "Die Beschäftigten müssen Bürotätigkeiten oder vergleichbare Tätigkeiten in ihrer Wohnung ausführen, wenn dies den Beschäftigten möglich ist. Gründe, die dem entgegenstehen, können beispielsweise räumliche Enge, Störungen durch Dritte oder unzureichende technische Ausstattung sein."

Betriebsrätemodernisierungsgesetz

Betriebsrätemodernisierungsgesetz

Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt.

Mit dem Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung wichtige Punkte des Koalitionsvertrages im Bereich des Arbeitsrechts sowie der Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung um. Der Gesetzentwurf erleichtert die Gründung von Betriebsräten und stärkt den Schutz der hieran beteiligten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Er stärkt die Mitbestimmungsrechte beim Einsatz Künstlicher Intelligenz und bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit in den Betrieben und erleichtert die Arbeit der Betriebsräte.

Stand 31.03.2021: der Regierungsentwurf ist verabschiedet, das Gesetz ist noch nicht verkündet.

Die folgenden Punkte werden durch das Gesetz geändert:

1. Erleichterung von Betriebsratsgründungen und -wahlen

Der Anwendungsbereich der vereinfachten Wahlverfahren wird erweitert. Dazu werden die Schwellenwerte für die Anwendung des verpflichtenden vereinfachten Wahlverfahrens und des vereinfachten Wahlverfahrens nach Vereinbarung angehoben.

Um künftig mehr Beschäftigte zu motivieren, sich zur Wahl für den Betriebsrat zu stellen, wird die Zahl der notwendigen Stützunterschriften für einen Wahlvorschlag gesenkt.

Die Anfechtbarkeit von Betriebsratswahlen wegen Fehlern in der Wählerliste wird eingeschränkt.

Damit Arbeitnehmer*innen bei der Gründung eines Betriebsrats besseren Schutz erhalten, wird der Kündigungsschutz zur Sicherung der Wahlen zum Betriebsrat und zur Bordvertretung verbessert.

2. Erleichterungen bei der Wahl von Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV)

Der Anwendungsbereich des vereinfachten Wahlverfahrens wird bei der JAV wie bei den Betriebsratswahlen erweitert.

Zur Förderung der Teilhabe von Auszubildenden wird für sie die Altersgrenze bei der Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung gestrichen. Es kommt bei ihnen künftig nur noch auf den Status als Auszubildender an.

3. Vereinfachung der digitalen Betriebsratsarbeit

Betriebsräte erhalten die Möglichkeit, unter selbst gesetzten Rahmenbedingungen und unter Wahrung des Vorrangs von Präsenzsitzungen, Sitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz durchzuführen.

Des Weiteren wird klargestellt, dass Betriebsvereinbarungen auch unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur abgeschlossen werden können.

Die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit nach der Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung (EU) 2016/679) wird bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat gesetzlich klargestellt werden.

4. Mitbestimmung bei mobiler Arbeit

Zur Förderung mobiler Arbeit und der Gewährleistung von einheitlichen und verbindlichen Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer*innen wird im BetrVG ein neues Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit eingeführt.

5. Rechte des Betriebsrats bei Weiterbildung

Zur Stärkung der Rechte des Betriebsrats bei der Qualifizierung wird das allgemeine Initiativrecht der Betriebsräte bei der Berufsbildung durch die Möglichkeit der Einschaltung der Einigungsstelle zur Vermittlung gestärkt.

6. Einbindung des Betriebsrates beim Einsatz von KI

Zur Bewertung von KI kann der Betriebsrat künftig einen/eine Sachverständige*n hinzuziehen.

Die Rechte des Betriebsrats bei der Planung von Arbeitsverfahren und -abläufen gelten auch dann, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von KI erstellt werden.

Dasselbe gilt auch bei der Feststellung von Richtlinien über die personelle Auswahl, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von KI erstellt werden.

Regierungsentwurf mit geplanten Gesetzesänderungen (Auszug)

Virtuelle Betriebsratssitzungen bleiben weiterhin möglich

Die Möglichkeit, virtuelle Betriebsratssitzungen abzuhalten und dort auch Beschlüsse zu fassen, verlängert sich zunächst bis 30.06.2021.

Präsenzsitzungen bleiben aber nach wie vor möglich und zulässig.

Neue Regelung: Beschlussfassung im Betriebsrat mittels Video- und Telefonkonferenz

Am 23.04.2020 wurde das Arbeit-von-Morgen-Gesetz (offizielle Bezeichnung: „Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung“) im Bundestag verabschiedet. Es ist in Kraft getreten am 01.03.2020.

Dieses Gesetz ermöglicht u.a. den Betriebsräten durch eine Änderung des BetrVG Beschlüsse mittels Video- und Telefonkonferenz durchzuführen. Dies soll durch den neu eingefügten § 129 BetrVG – befristet bis zum 31.12.2020 - ermöglicht werden.

Der Entwurf der Regierungsparteien zur befristeten Änderung des BetrVG lautet:

㤠129 BetrVG Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie

(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung, sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Absatz 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen.

(2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Absatz 1 Satz 1 und 2 entsprechend.

(3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.“‘

Ziel der Maßnahme ist es, die mit hohen Infektionsrisiken verbundenen Präsenzsitzungen möglichst zu vermeiden und gleichzeitig die Handlungs- und Beschlussfähigkeit der Personalvertretungen sicher zu stellen. Damit bereits über diese Kommunikationsform gefasste Beschlüsse rechtswirksam bleiben, treten die Regelungen rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft.

Artikel hierzu auf Bundesregierung.de:

https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/betriebliche-mitbestimmung-1739914

Corona-Virus - arbeitsrechtlichen Folgen

Das Virus Sars-CoV-2 (Corona) hält die Welt in Atem. Spätestens nachdem Bund und Länder die Schließung von Schulen und Kindergärten verfügt haben, wirken sich die Corona-Infektionen auf nahezu alle Beschäftigten aus, auch dass diese tatsächlich erkrankt wären. Hieraus ergeben sich für Arbeitnehmer und die betrieblichen Gremien viele Fragen. Die wichtigsten Antworten sind nachfolgend dargestellt:

Habe ich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn ich an einer Corona-Infektion erkrankt bin?

Wenn eine Sars-CoV-2-Infektion festgestellt wurde, gelten die gesetzlichen Regelungen wie bei jeder anderen Erkrankung auch. Nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz haben Arbeitnehmer Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für bis zu sechs Wochen. Wenn danach die Arbeitsfähigkeit nicht wiederhergestellt ist, besteht Anspruch auf Krankengeld.

Telefonische Krankschreibung.

Nach § 5 EFZG müssen Arbeitnehmer, wenn sie länger als drei Kalendertage krankheitsbedingt arbeitsunfähig sind, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung nachweisen. Dieses Attest muss nach dem dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit an dem darauffolgenden Arbeitstag beim Arbeitgeber eingegangen sein.

Die Kassenärztlich Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband) haben am 09.03.2020 zur Entlastung der Ärzte und zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus beschlossen, dass Patienten mit leichten Atemwegserkrankungen, die keine schwere Symptomatik vorweisen oder Kriterien des RKI für einen Verdacht auf eine Infektion mit COVID-19 erfüllen, sich auch telefonisch von ihrem Arzt bis zu sieben Tage krankschreiben lassen können.

(GKV und KBV, Gemeinsame Pressemitteilung vom 9.3.2020: https://www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/pressemitteilungen_und_statements/pressemitteilung_995776.jsp ).

Diese Vereinbarung soll vorerst bis zum 4. Mai. gelten

Ärztinnen und Ärzte, welche die Arbeitsunfähigkeit feststellen, müssen sich durch eingehende telefonische Befragung persönlich vom Zustand des Versicherten eine ärztliche Überzeugung bilden.

Die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf der Grundlage eines online auszufüllenden Fragebogens ist damit ausgeschlossen.

Habe ich Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn ich unter Quarantäne gestellt werde?

Nach dem Infektionsschutzgesetzes ist die zuständige Behörde (häufig das Gesundheitsamt) berechtigt, bei einer Corona-Infektion und bei einem entsprechenden Verdacht einer Infektion, Quarantäne anzuordnen, § 30 IfSG. Wenn der Arbeitnehmer erkrankt ist, besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung (siehe oben). Wenn allerdings keine Erkrankung vorliegt, besteht Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe des Verdienstausfalles nach § 56 IfSG. Hierbei übernimmt der Arbeitgeber die Zahlung für die ersten sechs Wochen. Sollte die Quarantäne darüber hinaus andauern, müssen Arbeitnehmer ihren Verdienstausfall direkt gegenüber der zuständigen Behörde geltend machen.

Für die Antragstellung von Arbeitgebern (für die ersten sechs Wochen) und Arbeitnehmern ist eine Frist von drei Monaten zu beachten, § 56 Abs. IfSG! Zuständige Behörden sind in der Region:

Hamburg: Einzelheiten zu erfragen beim

Freie und Hansestadt Hamburg

Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV)

Amt für Gesundheit

Billstraße 80

20539 Hamburg

Schleswig-Holstein: Antrag im Internet vorhanden

Landesamt für soziale Dienste

Dienstsitz Schleswig

Seminarweg 6

24837 Schleswig

Mecklenburg-Vorpommern: Antrag im Internet vorhanden

Landesamt für Gesundheit und Soziales

Mecklenburg-Vorpommern

Dezernat: Soziales Entschädigungsrecht

Erich-Schlesinger-Str. 35

18059 Rostock

Die vorstehenden Angaben erfolgen ohne Gewähr. Im Einzelfall wird dringend geraten, den Internetauftritt der jeweils genannten Behörden zu prüfen und gegebenenfalls telefonisch nachzufragen.

Müssen Mitarbeiter während einer angeordneten Quarantäne zu Hause arbeiten?

Sofern der Mitarbeiter nicht erkrankt ist, sondern nur vorsorglich unter Quarantäne gestellt ist, kann in Abhängigkeit der jeweiligen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und betrieblichen Gegebenheiten Home-Office angeordnet werden. Hierfür muss der Arbeitgeber die erforderlichen Arbeitsmittel und technischen Einrichtungen zur Verfügung stellen.

Soweit Home-Office angeordnet ist, dürften die Voraussetzungen des § 56 IfSG nicht, bzw. nicht vollständig vorliegen, da der Arbeitnehmer dann von Zuhause aus arbeitet und die Arbeitsleistung jedenfalls nicht vollständig wegen der Quarantäne ausfällt.

Habe ich als Arbeitnehmer Anspruch darauf, aus dem Home-Office zu arbeiten?

Ein gesetzlicher Anspruch hierauf besteht nicht. Als Rechtsgrundlage kommen, arbeitsvertragliche, tarifliche oder betriebsverfassungsrechtliche Vereinbarungen in Betracht. Voraussetzung hierfür ist, dass die Tätigkeiten auch tatsächlich außerhalb der Betriebsstätte verrichtet werden können. In der aktuellen Situation empfiehlt sich, entweder selbst oder über die Mitbestimmungsgremien auf den Arbeitgeber zuzugehen, um diesbezügliche Möglichkeiten zu beraten.

Darf ich zu Hause bleiben, wenn der Kindergarten oder die Schule geschlossen wird?

Für die Betreuung von Kindern müssen Arbeitnehmer in der Regel selbst sorgen und diese sicherstellen. Wenn allerdings keine Betreuungsmöglichkeiten bestehen, geht die elterliche Fürsorgepflicht gegenüber den Kindern der vertraglichen Arbeitspflicht vor. Wenn also Kindergarten und Schule geschlossen sind, dürfen Eltern zu Hause bleiben.

Achtung: Ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgeltes besteht hier aber (in der Regel) nicht. Wir raten daher, diese Möglichkeit erst als letztes Mittel in Betracht zu ziehen und zuvor andere Möglichkeiten, wie die Beantragung von Urlaub (s.u.) auszuschöpfen.

Denkbar wäre, dass ein Entgeltanspruch aus § 616 BGB für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit besteht. Der zeitliche Umfang ist gesetzlich nicht geregelt, die Rechtsprechung geht hier von einem Zeitraum von fünf bis maximal zehn Tagen aus. In der Praxis ist ein Anspruch aus § 616 BGB durch arbeits- oder tarifvertragliche Vereinbarungen regelmäßig eingeschränkt oder sogar völlig ausgeschlossen. Hier wäre im Einzelfall zu prüfen, ob vor diesem Hintergrund zumindest ein temporärer Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht.

Aus diesem Grund raten wir den betroffenen Arbeitnehmern, Einzelheiten mit dem Arbeitgeber abzusprechen. Hier kommt die Vereinbarung von Tätigkeiten im Home-Office in Betracht, der Abbau von Überstunden oder Urlaub. Für den Fall, dass eine Einigung nicht erzielt werden kann oder ein Urlaubsanspruch nicht (mehr) besteht, ist grundsätzlich auch eine unbezahlte Freistellung denkbar.

Achtung: Wenn Arbeitnehmer ohne Absprachen mit dem Betrieb zu Hause bleiben, riskieren sie arbeitsrechtliche Nachteile, zum Beispiel eine Abmahnung oder schlimmstenfalls sogar eine außerordentliche Kündigung. Aus diesem Grund sollte die Vorgehensweise in dieser Konstellation immer mit dem Arbeitgeber abgestimmt werden.

Habe ich Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn mein Betrieb wegen Corona-Infektionen geschlossen wird?

Soweit ein Betrieb aufgrund behördlicher Anordnungen geschlossen wird, besteht trotzdem Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Soweit und solange Arbeitnehmer nicht erkrankt und arbeitsbereit sind, besteht rechtlich eine Verpflichtung zur Beschäftigung. Wenn diese aufgrund einer Betriebsschließung nicht möglich ist, gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug nach § 615, Satz 3 BGB (Lehre vom Betriebsrisiko) und muss den Lohn bezahlen.

In Tarif- oder Arbeitsverträgen können für den Fall, dass Arbeitsausfälle weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer zu vertreten sind, auch andere Vereinbarungen enthalten sein.

Kann mein Arbeitgeber wegen einer Betriebsschließung Kurzarbeit anordnen?

Die Anordnung von Kurzarbeit kommt in Betracht, wenn dies tarifvertraglich, individualrechtlich oder durch eine betriebliche Regelung vereinbart ist. Andernfalls sind individuelle Regelungen am Einzelfall erforderlich.

Kurzarbeit kommt auch in Betracht, wenn der Betrieb aufgrund einer behördlichen Anordnung geschlossen wird. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür sind in §§ 95 f.f. SGB III festgelegt.

Weiterhin kann Kurzarbeit angeordnet werden, wenn vor dem Hintergrund der Corona-Krise Lieferengpässe oder Absatzschwierigkeiten die Betriebe belasten und dadurch Arbeitsausfälle entstehen. Hierzu hat die Bundesregierung kurzfristig eine Gesetzesänderung beschlossen, die ab 01.03.2020 gilt. Kurzarbeit kommt jetzt schon in Betracht, wenn 10 % der Arbeitnehmer im Betrieb von Arbeitsausfällen betroffen sind. Bislang lag die Schwelle bei 1/3 der Arbeitnehmer. Zudem werden den Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer in Kurzarbeit in voller Höhe erstattet.

Die Kurzarbeit muss vom Arbeitgeber bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt werden. Die Höhe des Kurzarbeitergeldes beträgt 67 % (Arbeitnehmer mit Kind), bzw. 60 % der jeweiligen Nettolohndifferenz und wird in der Regel vom Arbeitgeber bezahlt.

Darf ich aus Angst vor einer Corona-Infektion zu Hause bleiben, zum Beispiel wenn Kollegen im Betrieb erkrankt sind?

Es ist nicht zulässig, eigenmächtig von der Arbeit fern zu bleiben. Dies wäre ein Fall von unentschuldigtem Fehlen, der arbeitsrechtliche Konsequenzen (zum Beispiel eine Abmahnung) zur Folge haben wird.

Wenn jedoch die Gefahr einer konkreten Infektion besteht, obliegen dem Arbeitgeber ebenfalls Fürsorgepflichten. Hier hat er zu prüfen, ob in der konkreten Fallgestaltung die weitergehende Beschäftigung der Arbeitnehmer zulässig ist. Soweit Unsicherheiten bei den Arbeitnehmern bestehen, erteilen die örtlichen Gesundheitsämter Auskunft, bzw. könnten gegebenenfalls auch erforderliche Vorkehrungen erlassen.

Wie geht es weiter?

Die dargestellten Fragen können allenfalls einen Ausschnitt der jeweiligen betrieblichen Fragestellungen aufzeigen. Selbstverständlich beantworten wir auch weitergehende Fragen gern.

Mindestlohn 2020

Zum 1.1.2020 steigt der Mindestlohn von 9,19 EUR auf 9,35 EUR pro Stunde

EuGH zur Arbeitszeiterfassung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 14. Mai 2019 (C-55/18) entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit aller Mitarbeiter gemessen werden kann. Die Mitgliedstaaten müssen alle erforderlichen Maßnahmen dafür treffen, dass die Arbeitnehmer die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitszeitrichtlinie tatsächlich einhalten. Nur so könne sichergestellt werden, dass der durch die EU-Grundrechtecharta und die Arbeitszeitrichtlinie bezweckte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer tatsächlich kontrolliert und durchgesetzt werden kann.

Arbeitgeber in Deutschland sind nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) derzeit nur verpflichtet, Ar­beits­zei­ten auf­zu­zeich­nen, falls diese über acht St­un­den pro Tag hin­aus­ge­hen (§ 16 Abs. 2 ArbZG).

Darüber hinaus enthält auch § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) ei­ne Vor­schrift zur Aufzeichnung der Ar­beits­zeit­. Da­nach sind Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet, die Ar­beits­zei­ten um­fas­send zu do­ku­men­tie­ren, nämlich Be­ginn, En­de und Dau­er der tägli­chen Ar­beits­zeit.

Die­se Pflicht be­trifft al­ler­dings nicht sämt­li­che Ar­beit­neh­mer­grup­pen, son­dern nur geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer (sog. "Minijobber") i.S.v. § 8 Abs. 1 SGB IV, so­wie Be­rufs­grup­pen, bei de­nen Schwarz­ar­beit besonders häufig vorkommt, wie z.B. bei Bau­ar­beit­neh­mern, im Gaststätten- und Ho­tel­gewerbe, bei Gebäuderei­ni­gern und im Spe­di­ti­ons- und Trans­port­unternehmen (vgl. § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG).

Abzuwarten bleibt, wie der deutsche Gesetzgeber die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung ausgestalten wird. Jedenfalls betonte der EuGH, dass es den Mitgliedsstaaten obliegt, konkrete Modalitäten der Umsetzung eines solchen Systems zu treffen und den Besonderheiten des Tätigkeitsbereichs und der Größe bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen.

Das EuGH-Urteil verpflichtet nur die Mitgliedsstaaten zur Anpassung ihres Arbeitsrechts, d.h. es gilt nicht unmittelbar für deutsche Unternehmen. Wann das deutsche Arbeitszeitgesetz nach Maßgabe des EuGH-Urteils geändert wird, ist derzeit noch überhaupt nicht abzusehen. Denn eine konkrete Frist zur Rechtsänderung hat der Gerichtshof den EU-Staaten nicht gesetzt!

BAG: Urlaub verfällt nicht mehr automatisch

Der Urlaub von Arbeitnehmern darf nicht mehr automatisch verfallen. Arbeitgeber müssen ihre Arbeitnehmer zuvor klar und deutlich darauf hinweisen, dass der Urlaub bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu nehmen ist und ansonsten verfällt. Das entschied das BAG unter Berücksichtigung der EU-Rechtsprechung (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.02.2019, 9 AZR 541/15)

Pressemitteilung Nr. 9/19 des Bundesarbeitsgerichts

Verfall von Urlaubsansprüchen - Obliegenheiten des Arbeitgebers

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Der Beklagte beschäftigte den Kläger vom 1. August 2001 bis zum 31. Dezember 2013 als Wissenschaftler. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger ohne Erfolg, den von ihm nicht genommenen Urlaub im Umfang von 51 Arbeitstagen aus den Jahren 2012 und 2013 mit einem Bruttobetrag iHv. 11.979,26 Euro abzugelten. Einen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs hatte er während des Arbeitsverhältnisses nicht gestellt.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Urlaubsanspruch des Klägers sei zwar zum Jahresende verfallen. Der Kläger habe aber Schadensersatz in Form von Ersatzurlaub verlangen können, weil der Beklagte seiner Verpflichtung, ihm von sich aus rechtzeitig Urlaub zu gewähren, nicht nachgekommen sei. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei der Ersatzurlaubsanspruch abzugelten.

Die Revision des Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG sieht vor, dass Urlaub, der bis zum Jahresende nicht gewährt und genommen wird, verfällt. Das galt nach bisheriger Rechtsprechung selbst für den Fall, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hatte, ihm Urlaub zu gewähren. Allerdings konnte der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatz verlangen, der während des Arbeitsverhältnisses auf Gewährung von Ersatzurlaub und nach dessen Beendigung auf Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage gerichtet war.

Diese Rechtsprechung hat der Senat weiterentwickelt und damit die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgrund der Vorabentscheidung vom 6. November 2018 (- C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) umgesetzt. Nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ist es dem Arbeitgeber vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts zwingt die Vorschrift den Arbeitgeber damit zwar nicht, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Allerdings obliegt ihm unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitzeitrichtlinie) die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Arbeitgeber gehalten, „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn - erforderlichenfalls förmlich - auffordert, dies zu tun“. Der Arbeitgeber hat klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.

Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG kann der Verfall von Urlaub daher in der Regel nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt. Das Landesarbeitsgericht wird nach der Zurückverweisung der Sache aufzuklären haben, ob der Beklagte seinen Obliegenheiten nachgekommen ist.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Februar 2019 - 9 AZR 541/15 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 6. Mai 2015 - 8 Sa 982/14 -

Anpassung der Kündigungsfristen an EU-Recht

Mit Wirkung zum 01. 01.2019 werden § 622 Absatz 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und § 29 Absatz 4 Satz 2 des Heimarbeitsgesetzes (HAG) aufgehoben. Darin hieß es:

"Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt."

Der Europäische Gerichtshof hatte bereits am 19.01.2010 in der Rechtssache C-555/07 (Kücükdeveci) entschieden, dass § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB gegen das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstößt. Mit der Aufhebung des § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB wird diese Entscheidung umgesetzt und die Regelung des § 622 Absatz 2 BGB unionsrechtskonform ausgestaltet. Die Aufhebung der Anrechnungsgrenze in Satz 2 hat zur Folge, dass bei der Berechnung der vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfrist die gesamte Dauer der Betriebs- bzw. Unternehmenszugehörigkeit des Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist. Die Aufhebung wird für den § 29 Absatz 4 Satz 2 HAG nachvollzogen, der die gleichlautende Altersgrenze zur Berechnung der Kündigungsfrist wie § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB enthält.

Brückenteilzeit - Rückkehr zur Vollzeit

Unter folgenden Voraussetzungen hat ein Arbeitnehmer ab 2019 einen Anspruch auf Rückkehr zur Vollzeit:

- Die Teilzeitvereinbarung wurde nicht vor dem 01.01.2019 geschlossen.

- Der Betrieb beschäftigt mehr als 45 Arbeitnehmer.

- In Betrieben mit 46 bis 200 Arbeitnehmer muss nur jedem 15. Arbeitnehmer der Anspruch gewährt werden.

- In Betrieben mit mehr als 200 Arbeitnehmern hat jeder Arbeitnehmer den Anspruch.

- Das Arbeitsverhältnis besteht länger als sechs Monate.

- Antrag auf Brückenteilzeit von mindestens einem und höchstens fünf Jahren.

- Dem Antrag dürfen keine betrieblichen Gründe entgegenstehen, die Organisation, Arbeitsablauf oder Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigen. Die Beweislast hierfür liegt beim Arbeitgeber.

- Der Mitarbeiter hat die Antragsfrist von drei Monaten vor Beginn der gewünschten Verringerung eingehalten.

- Der Mitarbeiter hat seinen Antrag schriftlich gestellt.

- Für eine weitere Brückenteilzeit besteht ein Rechtsanspruch erst nach Ablauf eines Jahres ab Beendigung der vorigen Brückenteilzeit.

Mindestlohn 2019

Der gesetzliche Mindestlohn wird nach dem Mindestlohngesetz alle zwei Jahre neu festgelegt. Aktuell beträgt der gesetzliche Mindestlohn ab 1. Januar 2019 EUR 9,19 und ab 1. Januar 2020 EUR 9,35.

In keiner Branche darf ab 2019 (abgesehen von den folgenden Personengruppen) weniger gezahlt werden als es der gesetzliche Mindestlohn.

Der gesetzliche Mindestlohn gilt nicht für:

- Jugendliche unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung,

- Auszubildende – unabhängig von ihrem Alter – im Rahmen der Berufsausbildung,

- Langzeitarbeitslose während der ersten sechs Monate ihrer Beschäftigung nach Beendigung der Arbeitslosigkeit,

- Praktikanten, wenn das Praktikum verpflichtend im Rahmen einer schulischen oder hochschulischen Ausbildung stattfindet,

- Praktikanten, wenn das Praktikum freiwillig bis zu einer Dauer von drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder Aufnahme eines Studiums dient,

- Jugendliche, die an einer Einstiegsqualifizierung als Vorbereitung zu einer Berufsausbildung oder an einer anderen Berufsbildungsvor-bereitung nach dem Berufsbildungsgesetz teilnehmen,

- ehrenamtlich Tätige.

Überstundenzuschlag auch bei Teilzeit

Werden Teilzeitbeschäftigten erst bei Überschreitung der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten Mehrarbeitszuschläge gezahlt, liegt hierin ein Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten gem. § 4 Abs. 1 TzBfG.

Dies hat nun der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entschieden und damit seine bisherige gegenläufige Rechtsprechung aufgegeben (BAG, Urteil v. 19.12.2018, 10 AZR 231/18).


BAG Pressemitteilung Nr. 70/18

Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitarbeit

Eine Regelung in einem Tarifvertrag kann im Einklang mit § 4 Abs. 1 TzBfG* dahin auszulegen sein, dass Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitbeschäftigten für die Arbeitszeit geschuldet sind, die über die Teilzeitquote hinausgeht, die Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit jedoch nicht überschreitet.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als stellvertretende Filialleiterin in Teilzeit tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie Anwendung. Er regelt ua. Mehrarbeitszuschläge und erlaubt es, wie im Fall der Klägerin eine Jahresarbeitszeit festzulegen. Für den nach Ablauf des Zwölfmonatszeitraums bestehenden Zeitsaldo hat die Beklagte die Grundvergütung geleistet. Sie hat dagegen keine Mehrarbeitszuschläge gewährt, weil die Arbeitszeit der Klägerin nicht die einer Vollzeittätigkeit überschritt. Die Klägerin verlangt Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit, die über die vereinbarte Arbeitszeit hinausging.

Die Vorinstanzen haben der Klage überwiegend stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat mit Blick auf die Mehrarbeitszuschläge keinen Erfolg. Die Auslegung des Tarifvertrags ergibt, dass Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit haben, die über ihre individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. Diese Auslegung entspricht höherrangigem Recht. Sie ist mit § 4 Abs. 1 TzBfG vereinbar. Zu vergleichen sind die einzelnen Entgeltbestandteile, nicht die Gesamtvergütung. Teilzeitbeschäftigte würden benachteiligt, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert würde. Der Zehnte Senat gibt seine gegenläufige Ansicht auf (BAG 26. April 2017 - 10 AZR 589/15 -). Er schließt sich der Auffassung des Sechsten Senats an (BAG 23. März 2017 - 6 AZR 161/16 - BAGE 158, 360).

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2018 - 10 AZR 231/18 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2018 - 2 Sa 1365/17 -


*§ 4 Abs. 1 TzBfG lautet:
1Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. 2Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.

Hinweis: Der Senat hat am 19. Dezember 2018 über vier weitere parallel gelagerte Sachverhalte entschieden (- 10 AZR 617/17, 10 AZR 618/17, 10 AZR 140/18 und 10 AZR 232/18 -). Die auf Mehrarbeitszuschläge gerichteten Klagen hatten Erfolg.

Änderung des Tarifvertragsgesetzes (TVG)

Zur Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird zum 01.01.2019 das Tarifvertragsgesetz (TVG) geändert. Nach dem Tarifeinheitsgrundsatz findet, soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden, im Betrieb grundsätzlich nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb Anwendung. Soweit es den Tarifvertragsparteien nicht gelungen ist, selbstständig eine Kollision ihrer Tarifverträge zu vermeiden, ist der Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft mit weniger Mitgliedern im Betrieb in dieser Situation nicht anwendbar. Die Gesetzesänderung stärkt nunmehr die Rechte der Arbeitnehmergruppen, die von dem im Falle der Kollision nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden. Wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrages ihre Interessen nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, findet ihr Tarifvertrag entgegen dem Tarifeinheitsgrundsatz dennoch Anwendung.

Dienstreisen als Arbeitszeit

Bei Dienstreisen ins Ausland ist dem Arbeitnehmer die Reisezeit als Arbeitszeit zu vergüten.

Entsendet der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorübergehend zur Arbeit ins Ausland, sind die für Hin- und Rückreise erforderlichen Zeiten wie Arbeit zu vergüten.

Sachverhalt

Der Kläger ist bei dem beklagten Bauunternehmen als technischer Mitarbeiter beschäftigt und arbeitsvertraglich verpflichtet, auf wechselnden Baustellen im In- und Ausland zu arbeiten. Vom 10. August bis zum 30. Oktober 2015 war der Kläger auf eine Baustelle nach China entsandt. Auf seinen Wunsch buchte die Beklagte für die Hin- und Rückreise statt eines Direktflugs in der Economy-Class einen Flug in der Business-Class mit Zwischenstopp in Dubai. Für die vier Reisetage zahlte die Beklagte dem Kläger die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung für jeweils acht Stunden, insgesamt 1.149,44 Euro brutto. Mit seiner Klage verlangt der Kläger Vergütung für weitere 37 Stunden mit der Begründung, die gesamte Reisezeit von seiner Wohnung bis zur auswärtigen Arbeitsstelle und zurück sei wie Arbeit zu vergüten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg. Entsendet der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer vorübergehend ins Ausland, erfolgen die Reisen zur auswärtigen Arbeitsstelle und von dort zurück ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers und sind deshalb in der Regel wie Arbeit zu vergüten. Erforderlich ist dabei grundsätzlich die Reisezeit, die bei einem Flug in der Economy-Class anfällt. Mangels ausreichender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum Umfang der tatsächlich erforderlichen Reisezeiten des Klägers konnte der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden und hat sie deshalb unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. Oktober 2018 - 5 AZR 553/17 -)

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. Juli 2017 - 2 Sa 468/16 -

Pressemitteilung des BAG Nr. 51/18

Brückenteilzeit beschlossen

Am 18.10.2018 hat der Bundestag die Brückenteilzeit beschlossen. Ab 01.01.2019 haben dann viele Arbeitnehmer die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit vorübergehend individuell zu verkürzen.

Im TzBfG wird neben dem bestehenden Anspruch auf zeitlich nicht begrenzte Teilzeitarbeit ein allgemeiner gesetzlicher Anspruch auf zeitlich begrenzte Teilzeitarbeit (Brückenteilzeit) eingeführt. Beschäftigt ein Arbeitgeber in der Regel insgesamt mehr als 45 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, können diese, sofern ihr Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, verlangen, dass ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit (Vollzeit- oder Teilzeitarbeit) für einen im Voraus zu bestimmenden Zeitraum von einem Jahr bis fünf Jahre verringert wird.

Ein bereits bestehendes zeitlich nicht begrenztes Teilzeitarbeitsverhältnis kann allerdings nicht in ein Arbeitsverhältnis mit Brückenteilzeit umgewandelt werden.

Es besteht aber für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit zeitlich nicht begrenzter Teilzeitarbeit die Möglichkeit, Brückenteilzeit zu nutzen und ihre Stundenzahl für einen begrenzten Zeitraum weiter zu verringern. Sie kehren dann nach der Brückenteilzeit zur vorherigen Arbeitszeit in der nicht begrenzten Teilzeit zurück.

Ein Anspruch auf Teilzeitarbeit kann sich nicht nur aus dem TzBfG, sondern auch aus speziellen gesetzlichen Vorschriften ergeben. Spezielle gesetzliche Regelungen zur Teilzeitarbeit enthalten das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), das Pflegezeitgesetz (PflegeZG), das Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und das Altersteilzeitgesetz (AltTzG). In der Regel wird die spezielle Teilzeitregelung für die Beschäftigten günstiger sein, da sie zumeist mit einer finanziellen Förderung und anderen Schutzrechten (z. B. besonderer Kündigungsschutz) verbunden ist.

Verbot mehrfacher sachgrundloser Befristung: Bundesverfassungsgericht kippt Rechtsprechung des BAG

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 06.06.2018 (1 BvL 7/14) entgegen der seit 2011 bestehenden Rechtsprechung des BAG (Urteil v. 06.04.2011 - Az: 7 AZR 716/09) folgendes klargestellt:

Nach der Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) sind sachgrundlose Befristungen zwischen denselben Vertragsparteien auf die erstmalige Begründung eines Arbeitsverhältnisses beschränkt; damit ist jede erneute sachgrundlos befristete Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber verboten.

Nach Auffassung des Gerichts ist diese Regelung im TzBfG verfassungsgemäß, denn die Verhinderung von Kettenbefristungen und die Sicherung der unbefristeten Dauerbeschäftigung als Regelbeschäftigungsform trägt der Pflicht des Staates zum Schutz der strukturell unterlegenen Beschäftigten im Arbeitsverhältnis und auch dem Sozialstaatsprinzip Rechnung. Allerdings gilt dies nur, soweit die Beschäftigten nach Art und Umfang der Vorbeschäftigung tatsächlich des Schutzes vor Kettenbefristungen bedürfen und andernfalls das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform gefährdet wäre.

Das BVerfG lässt damit auch Ausnahmen vom Verbot der Vorbeschäftigung gelten, wenn etwa eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Im Einzelfall könnten dies sein:

- bestimmte geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- und Studienzeit oder der Familienzeit,

- die Tätigkeit von Werkstudierenden oder

- die lang zurückliegende Beschäftigung von Menschen, die sich später beruflich völlig neu orientieren.

Das BVerfG hat damit klargestellt, dass die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene und höchst umstrittene Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, die eine wiederholte sachgrundlose Befristung zwischen denselben Vertragsparteien immer dann gestattet, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren liegt, mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Richterliche Rechtsfortbildung darf den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht übergehen und durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen. Hier hatte sich der Gesetzgeber klar erkennbar gegen eine solche Frist entschieden.


(BVerfG, Beschluss vom 6. Juni 2018, Az. 1 BvL 7/14 (Vorlagebeschluss) und Az. 1 BvR 1375/14 (Verfassungsbeschwerde); Zuvor: Vorlage des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 3. April 2014, Az. 5 Ca 463/13 und LAG Nürnberg, Urteil vom 30. Januar 2014, Az. 5 Sa 1/13.)

Arbeitszeit - Ruhetag spätestens nach zwölf Tagen

Der EuGH hat entschieden, dass ein Arbeitnehmer bis zu zwölf Tage am Stück arbeiten könne. Die Arbeitszeitrichtlinie verbiete dies nicht, wenn die im Sieben-Tage-Zeitraum vorgeschriebenen Ruhetage gewährleistet seien.

Der Ruhetag kann danach also verschoben werden. Er muss aber spätestens nach zwölf Tagen gewährt werden.

Sachverhalt

Der Kläger war Mitarbeiter eines Casinos in Portugal. Das Casino ist täglich vom Nachmittag bis zum folgenden Morgen geöffnet. Von 2008 und 2009 arbeitete der Kläger manchmal an sieben aufeinanderfolgenden Tagen.

Nach Ende seines Arbeitsvertrags 2014 erhob der Mitarbeiter Klage gegen seinen früheren Arbeitgeber. Er wollte feststellen lassen, dass der Arbeitgeber ihm die Pflichtruhetage nicht gewährt habe. Er begehrte daher Zahlungen entsprechend der Vergütung der gearbeiteten Überstunden. Arbeitszeitrichtlinie

Nach der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG vom 4.11.2003) hat jeder Arbeitnehmer pro Sieben-Tage-Zeitraum Anspruch auf eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden. Das zuständige Berufungsgericht in Portugal hat Zweifel in Bezug auf die Auslegung der Richtlinie und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Entscheidung vor, ob die kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden, auf die ein Arbeitnehmer Anspruch hat, spätestens an dem Tag gewährt werden muss, der auf einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen folgt.

Das sagt der EuGH

Nach Auffassung des Gerichts verlangt die Arbeitszeitrichtlinie nicht, dass die wöchentliche Mindestruhezeit spätestens an dem Tag gewährt wird, der auf einen Zeitraum von sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen folgt, sondern nur, dass sie "innerhalb jedes Sieben-TageZeitraums" gewährt wird. Das bedeutet, dass der Ruhetag an einem beliebigen Tag innerhalb jedes Sieben-Tage-Zeitraums gewährt werden kann. Die Formulierung "pro Sieben-Tage-Zeitraum" in der Arbeitszeitrichtlinie enthalte keinerlei Verweisung auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten und sei somit ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der einheitlich ausgelegt werden muss.

EuGH, Urteil vom 9. November 2017, Az. C-306/16

Das dritte Geschlecht im Arbeitsrecht

Das Bundesverfassungsgericht (BverfG) hat am 10. Oktober 2017 (Az.: 1 BvR 2019/16) im Zusammenhang mit §§ 21, 22 Personenstandsgesetz (PStG) einen Entschluss zum dritten Geschlecht gefasst – mit großer Bedeutung auch für das Arbeitsrecht. Danach ist der Gesetzgeber aufgefordert, bis 31. Dezember 2018 das Personenstandsrecht zu ändern, um Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen, noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, eine passende Eintragungsmöglichkeit im Geburtenregister zu ermöglichen. Bislang gibt es schon die Möglichkeit, keinen Geschlechtseintrag vorzunehmen (§ 22 Abs. 3 PStG).

Der Gesetzgeber könnte nach dem Beschluss des BVerfG generell auf Geschlechtereinträge ganz verzichten oder aber, was die wohl wahrscheinlichere Variante ist, einen positiven weiteren Geschlechtseintrag, zum Beispiel „divers oder inter“ zulassen. Rein biologisch gesehen gibt es (nach wie vor) nur zwei Geschlechter. Schutzwürdig nach Art. 3 Abs. 3 GG ist jedoch auch die geschlechtliche Identität von Menschen – und um die geht es beim nunmehr juristisch anerkannten dritten Geschlecht.

Insbesondere wird künftig folgendes zu beachten sein:

Stellenausschreibung

Die bislang übliche Formulierung des Jobbezeichnung mit der Ergänzung „(m/w)“ reicht künftig wohl nicht mehr. Vielmehr muss das dritte Geschlecht genannt werden, zum Beispiel mit „(m/w/i)“ oder „(m/w/d)“ für inter beziehungsweise divers. Einfacher kann es sein, wenn komplett geschlechtsneutral eine Stelle beispielsweise als „Personalleitung“ bezeichnet wird.

Aktuell Vorschläge in diesem Kontext sehen auch durch die Verwendung des „*“-Zeichens die Einbeziehung des dritten Geschlechts als gegeben an, also zum Beispiel „Sachbearbeiter*In“. Hier wird sich in Zukunft zeigen, welche Schreibweisen sich durchsetzen werden.

Anrede im Unternehmen

Als problematisch könnte sich zukünftig auch Anreden und Anschreiben im dienstlichen Kontext erweisen. Das fängt bei „Sehr geehrte Frau, sehr geehrter Herr“ an und endet bei „sein/ihre“. Auch hier könnte wieder mit dem „*“-Zeichen gearbeitet werden, also „Sehr geehrte* Frau*Herr“ oder „liebe Mitarbeiter*Innen“.

Ansonsten müsste der Arbeitgeber mit den betroffenen Arbeitnehmer*Innen deren Wunschansprache klären oder möglichst geschlechtsneutrale Formulierungen verwenden. In der Praxis kann in Schriftstücken zum Beispiel auch nur der männliche Begriff gewählt werden („Mitarbeiter“), mit dem Hinweis auf dessen ausdrücklich geschlechtsneutrale Formulierung.

Betriebsratswahl

Bei der Betriebsratswahl ist das Geschlecht in der Minderheit nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren durch Bildung einer Quote entsprechend zu berücksichtigen. Für zukünftige Betriebsratswahlen wird der Gesetzgeber § 15 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) anpassen müssen. Nunmehr muss das Verhältnis aller drei Geschlechter berücksichtigt werden.

Entgeltgleichheit

Das neue Entgelttransparenzgesetz spricht schon in § 1 von „Frauen und Männern“ und der binäre Geschlechtergedanke zieht sich durch dieses Gesetz. Das Gesetz muss daher um die Rechte des dritten Geschlechts ergänzt werden.

Förderung der beruflichen Gleichstellung

Insbesondere die Besetzung von Aufsichtsrats-, Vorstands- und oberen Führungspositionen wurden durch die medial so genannte „Frauenquote“ gesetzlich gefördert. Auch hier wird diese berechtige Förderung um die Förderung des dritten Geschlechts zu ergänzen sein. Dasselbe gilt für Vorschriften wie § 80 Abs. 1 Nr. 2a BetrVG, wo die Gleichstellung von Frauen und Männer als Aufgabe des Betriebsrats geregelt ist.

Eigene sanitäre Räume für inter- oder divers-geschlechtliche Personen

Nach § 6 Abs. 2 S. 4 Arbeitsstättenverordnung sind sanitäre Räume getrennt für Mann und Frau einzurichten beziehungsweise eine getrennte Nutzung zu ermöglichen. Das gilt natürlich auch für inter- oder divers-geschlechtliche Personen, die über entsprechende Möglichkeiten zukünftig verfügen müssen. Gerade in größeren Betrieben bietet sich die Einrichtung von eigenen Sanitärräumen an, die diesem Geschlecht offenstehen.

Kleiderordnung

In manchen Unternehmen gibt es, regelmäßig getrennt nach männlich und weiblich, spezifische Kleiderordnungen, die das Erscheinungsbild der Beschäftigten regeln. Auch diese müssen künftig angepasst werden. Je mehr geschlechtsneutrale Regelungen eine solche Kleiderordnung hat, desto einfacher wird die Umsetzung bei drei Geschlechtern.

Insgesamt steht damit auch im Arbeitsrecht eine neue, spannende Epoche an, die es diskriminierungsfrei und mit Gleichbehandlung auch in Bezug auf das dritte Geschlecht zu gestalten gilt. Unternehmen sind gut beraten, sich jetzt mit diesen Themen schon planerisch und organisatorisch auseinanderzusetzen.

Betriebsratswahl - Sitzverteilung - d'Hondtsches Höchstzahlverfahren verfassungsgemäß

Die Anordnung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens zur Verteilung der Betriebsratssitze bei der Betriebsratswahl ist verfassungsgemäß.

Bei Betriebsratswahlen muß die Verteilung der Sitze mit dem sogenannten d'Hondtschen Höchstzahlverfahren berechnet werden. Das Verfahren, welches § 15 Abs.1 und Abs. 2 der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) anordnet, verstößt weder gegen die Koalitionsfreiheit noch gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit, so das Bundesarbeitsgericht. Damit bleibt es auch zukünftig das maßgebliche Berechnungsmodell bei einer Betriebsratswahl.

BAG, Beschluss v. 22.11.2017, 7 ABR 35/16, Vorinstanz: LAG Sachsen-Anhalt,
Beschluss v. 5.4.2016, 6 TaBV 19/15

Sachverhalt

Im konkreten Fall hatten einige Arbeitnehmer eine Betriebsratswahl angefochten. Sie äußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Anordnung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens zur Verteilung der Betriebsratssitze in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WO BetrVG. Ihrer Ansicht nach benachteilige das in der Wahlordnung vorgesehene d´Hondtsche Höchstzahlverfahren kleinere Gruppierungen unangemessen.

Vorausgegangen war die Betriebsratswahl im Betrieb der Arbeitgeberin, bei der im Mai 2014 ein aus 17 Mitgliedern bestehender Betriebsrat gewählt wurde. Hierbei erhielt die Liste V 557 Stimmen, die Liste D 306 Stimmen und die Liste H 279 Stimmen. Die Sitzverteilung wurde nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren vorgenommen. Danach entfielen auf die Liste V neun Sitze und auf die Listen D und H jeweils vier Sitze. Bei einer Verteilung der Sitze nach anderen bekannten Verfahren zur Sitzverteilung wie beispielsweise dem nach Hare/Niemeyer oder dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers hätte die Liste D fünf Sitze und die Liste V acht Sitze erhalten, argumentierten die Arbeitnehmer.

Der Antrag der Arbeitnehmer blieb beim Bundesarbeitsgericht - wie bereits in den Vorinstanzen - ohne Erfolg. Die in § 15 Abs. 1 und 2 WO BetrVG vorgesehene Sitzverteilung nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren ist verfassungsgemäß, urteilten die Erfurter Richter. Das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren verletze weder den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Gleichheit der Wahl noch die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit.

Bei der Umrechnung von Wählerstimmen in Betriebsratssitze lasse sich bei der Verhältniswahl mit keinem der gängigen Sitzzuteilungsverfahren eine vollständige Gleichheit des Erfolgswertes einer Wählerstimme erreichen, führte das Bundesarbeitsgericht aus. Der Grund: Es könnten nur ganze Sitze verteilt werden. Daher falle die Entscheidung, wie die Sitzverteilung vorzunehmen sei, in den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers. Weiter fördere das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren zudem die Mehrheitssicherung. Damit diene es einem unter Berücksichtigung der Funktion der betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmervertretung anzuerkennenden Ziel.

BAG stärkt Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht beim Gesundheitsschutz. Das BAG vertrat bisher die Auffassung, die Mitbestimmung im Gesundheitsschutz sei eingeschränkt und verlange eine konkrete, im Betrieb nachweisbare Gesundheitsgefahr.

Mit der vorliegenden Entscheidung gibt das BAG diese Auffassung nun auf. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats setzt nun keine konkrete Gesundheitsgefahr im Betrieb voraus. Es reichen bloße Gefährdungen aus. Damit sind vor allem die Rechte der Betriebsräte im Präventionsbereich deutlich gestärkt.

BAG, Beschluss vom 28. März 2017 - 1 ABR 25/15

Soweit sich der Betriebsrat auf § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG als dem Gesundheitsschutz dienende Rahmenvorschrift iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG beruft, muss beachtet werden, dass deren Anwendung zumindest das Vorliegen von Gefährdungen verlangt, die entweder feststehen oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festzustellen sind. Erst in einem solchen Fall lösen sie eine konkrete gesetzliche Handlungspflicht des Arbeitgebers aus, deren Umsetzung einer Mitwirkung des Betriebsrats bedarf.

§ 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG ist eine Vorschrift über den Gesundheitsschutz. Sie legt für den Arbeitgeber in Form einer Generalklausel die umfassende und präventive Handlungspflicht fest, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen.

Da viele Belastungen bei der Arbeit erst langfristig zu Gesundheitsproblemen und Erkrankungen führen, ist es für die Vorbeugung von Erkrankungen insoweit besonders wichtig, bereits bei den ersten Anzeichen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung entgegenzuwirken.

Erhöhung des Mindestlohns

Mit Wirkung zum 1.1.2017 wurde der Mindestlohn auf 8,84 EUR brutto je Zeitstunde angehoben. Darüber hinaus muss der Mindestlohn auch für Tarifverträge, die unter die Übergangsregelung des § 24 MiLoG fallen zum 1.1.2017 wenigstens 8,50 EUR betragen.
Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn wird nicht nur durch die Zahlung des regelmäßigen Stundenlohnes oder des umgerechneten Monatsentgeltes erfüllt, sondern alle Zahlungen des Arbeitgebers, die für die erbrachte Arbeitsleistung erfolgen, sind Zahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn und erfüllen ihn. Demnach können auch Zulagen aller Art, solange sie jedenfalls für die Arbeitsleistung gezahlt werden, aber auch Einmalzahlungen, die im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stehen (z. B. ein 13. Gehalt oder Gratifikationen mit Mischcharakter, die jedenfalls auch geleistete Arbeit vergüten sollen) auf die Erfüllung des Mindestlohnes angerechnet werden
Ausschlussfristen
Nach § 3 Satz 3 MiLoG kann der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht verwirken. Einigkeit besteht bisher darüber, dass Ausschlussfristen, gleich ob arbeitsvertraglich oder tarifvertragliche den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfassen.

Smartphone für den Betriebsrat

Ob dem Betriebsrat(svorsitzenden) ein Smartphone zusteht, hängt davon ab, ob es im Einzelfall erforderlich ist.

Dies wurde im konkreten Fall bejaht, weil der Betrieb diverse Außenstellen unterhält, die vom Betriebsratsvorsitzenden in gewissen Abständen besucht werden und er zu diesen Zeiten im Betriebsratsbüro nicht für Arbeitnehmer erreichbar ist. Ferner wurde berücksichtigt, dass in dem Krankenhausbetrieb im Schichtdienst gearbeitet wird und der Betriebsratsvorsitzende für diese Mitarbeiter auch abends und an Wochenenden erreichbar sein will; für bei dieser Gelegenheit vorzunehmende Terminabsprachen benötigt er Zugriff auf seinen digitalen Terminkalender.

Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. März 2017 § 16 TaBV 212/16

Kündigungsschutz nach Entlassungsverlangen des Betriebsrats

Ist einem Arbeitgeber auf Antrag des Betriebsrats in einem Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG* rechtskräftig aufgegeben worden, einen Arbeitnehmer zu entlassen, liegt für eine ordentliche Kündigung dieses Arbeitnehmers ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG vor.

Sachverhalt:

Die Klägerin war bei dem beklagten Versicherungsunternehmen langjährig als Sachbearbeiterin beschäftigt. Ende April 2015 forderte der Betriebsrat die Beklagte auf, die Klägerin zu entlassen, hilfsweise sie zu versetzen. Zur Begründung verwies er auf Vorfälle, die sich zwischen der Klägerin und ihren Arbeitskollegen im Oktober 2014 und Januar 2015 ereignet haben. Die Beklagte kam dem Verlangen zunächst nicht nach. In dem daraufhin vom Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahren gem. § 104 Satz 2 BetrVG gab das Arbeitsgericht der Beklagten antragsgemäß auf, die Klägerin §zu entlassen". Die Klägerin war in dem Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 3 ArbGG angehört worden. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2016.

Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat gemeint, es liege weder ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vor noch sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Beide Vorinstanzen haben festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zwar nicht durch die fristlose Kündigung aufgelöst worden ist, die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage wurde jedoch abgewiesen. Im Revisionsverfahren verfolgen die Parteien ihre ursprünglichen Anträge weiter.

Die Rechtsmittel beider Parteien blieben vor dem Bundesarbeitsgericht ohne Erfolg. Der Zweite Senat hat entschieden, dass aufgrund der - auch im Verhältnis zur Klägerin - rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts, wonach die Beklagte die Klägerin zu entlassen hatte, ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für die ordentliche Kündigung gegeben war. Dagegen war der Beklagten durch den Beschluss nicht die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgegeben worden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. März 2017 - 2 AZR 551/16 - Vorinstanz: LAG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 2016 - 9 Sa 233/16 - ---

* § 104 BetrVG lautet:

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

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Pressemitteilung des BAG Nr. 19/17

Arbeitnehmerüberlassung - DRK-Schwester

Wird eine DRK-Schwester, die als Mitglied einer DRK-Schwesternschaft angehört, von dieser in einem vom Dritten betriebenen Krankenhaus eingesetzt um dort nach dessen Weisung gegen Entgelt tätig zu sein, handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassung. Der Betriebsrat des Krankenhauses kann dieser Einstellung die erforderliche Zustimmung verweigern, wenn der Einsatz gegen das Verbot der nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung nach • 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verstößt

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin beabsichtigte zum 1. Januar 2012 eine Krankenschwester in ihrem Krankenhausbetrieb einzusetzen, die Mitglied einer DRK-Schwesternschaft ist. Grundlage hierfür ist ein mit der DRK-Schwesternschaft geschlossener Gestellungsvertrag. Der Betriebsrat der Arbeitgeberin verweigerte form- und fristgerecht seine Zustimmung zu der Einstellung. Er machte geltend, es handele sich um eine verbotene, weil dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberin, die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen, stattgegeben. Auf das vom Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts durch Beschluss vom 17. März 2015 an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtete Vorabentscheidungsgesuch hat dieser mit Urteil vom 17. November 2016 - C-216/15 - entschieden:

Art. 1 Abs. 1 und 2 der Leiharbeitsrichtlinie vom 19. November 2008 ist dahin auszulegen, dass die durch einen Verein, der keinen Erwerbszweck verfolgt, gegen ein Gestellungsentgelt erfolgende Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein entleihendes Unternehmen, damit das Mitglied bei diesem hauptberuflich und unter dessen Leitung gegen eine Vergütung Arbeitsleistungen erbringt, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, sofern das Mitglied aufgrund dieser Arbeitsleistung in dem betreffenden Mitgliedstaat geschützt ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Dies gilt auch, wenn das Mitglied nach nationalem Recht kein Arbeitnehmer ist, weil es mit dem Verein keinen Arbeitsvertrag geschlossen hat.•

Im Hinblick darauf hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts den Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin abgewiesen. Der Betriebsrat hat die Zustimmung zu Recht verweigert. Bei der Gestellung der DRK-Schwester handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassung. Aufgrund der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung liegt diese auch dann vor, wenn ein Vereinsmitglied gegen Entgelt bei einem Dritten weisungsabhängig tätig ist und dabei einen Schutz genießt, der - wie bei den DRK-Schwestern - dem eines Arbeitnehmers entspricht.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21. Februar 2017 - 1 ABR 62/12 - Vorinstanz: LAG Düsseldor, Beschluss vom 6. Juli 2012 - 6 TaBV 30/12 -

Pressemitteilung des BAG Nr. 10/17

Arbeitnehmerüberlassung: "AÜG-Reform" tritt am 01.04.2017 in Kraft

Im vergangenen Oktober hat der Bundestag die AÜG-Reform 2017 verabschiedet. Nach langem Streit gilt nun ab April das Gesetz zur Neuregelung von Leiharbeit und Werkverträgen mit neuen Regeln zur Höchstüberlassung und zum Equal Pay.

Die Gesetzesänderungen sollen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen eindämmen. Vor allem sollen die missbräuchliche Arbeitnehmerüberlassung als Dauerzustand verhindert und eine Lohngerechtigkeit für die Leiharbeitnehmer im Verhältnis zu den vergleichbaren

Stammbeschäftigten im Entleiherbetrieb hergestellt werden.

Die wichtigsten Änderungen im Überblick:

- grundsätzliche Höchstverleihdauer von 18 Monaten

- gleichen Lohn wie vergleichbare Stammbeschäftigte nach spätestens 9 Monaten

- Leiharbeit muss im Überlassungsvertrag als ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung bezeichnen werden.

- Leiharbeitnehmer dürfen grundsätzlich nicht eingesetzt werden, wenn der Entleiher "unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist". Also keine Leiharbeitnehmer als "Streikbrecher".

- Leiharbeitnehmer sind bei der Berechnung der Schwellenwerte des BetrVG und bei der Unternehmensmitbestimmung zu berücksichtigen.

- Der Betriebsrat ist rechtzeitig über den Einsatz von Leiharbeitnehmern zu informieren. Folgende

Informationen müssen ihm hierbei zur Verfügung gestellt werden:

- Den zeitlichen Umfang des Einsatzes,

- den Einsatzort

- die Arbeitsaufgaben

- Vorlage der dem Einsatz des Fremdpersonals zugrundeliegenden Verträge (Arbeitnehmerüberlassungsverträge)

Von dem Grundsatz der Lohngleichheit nach neun Monaten sind allerdings Ausnahmen möglich, wenn der Arbeitgeber vorher ab der sechsten Beschäftigungswoche, einen aufwachsenden Zuschlag (sogenannter Branchenzuschlag) zum Tariflohn in der Zeitarbeit zahlt. Die Angleichung kann dann auf 15 Monate gestreckt werden. Damit soll verhindert werden, dass Leiharbeitsverhältnisse wegen eines absehbar abrupt steigenden Lohns beendet werden, kurz bevor die Gleichbezahlung greift. Auch bei der neuen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten sind Ausnahmen möglich, soweit Tarifverträge einen anderen maximalen Zeitraum enthalten oder sofern aufgrund von Tarifverträgen Abweichungen im Betrieb vereinbart werden können.

Ruhezeit von elf Stunden auch bei Betriebsratstätigkeit

Ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten außerhalb seiner Arbeitszeit tagsüber an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen hat, ist berechtigt, die Arbeit in der vorherigen Nachtschicht vor dem Ende der Schicht einzustellen, wenn nur dadurch eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden am Tag gewährleistet ist, in der weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu erbringen ist.

Nach § 5 Abs. 1 ArbZG ist dem Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren. Es kann dahinstehen, ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG ist und § 5 Abs. 1 ArbZG deshalb Anwendung findet. Jedenfalls ist bei der Beurteilung, ob dem Betriebsratsmitglied in einer solchen Situation die Fortsetzung der Arbeit in der Nachtschicht wegen der bevorstehenden Betriebsratstätigkeit unzumutbar ist, die Wertung des § 5 Abs. 1 ArbZG zu berücksichtigen.

Sachverhalt

Der Kläger ist Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats und arbeitet im Dreischichtbetrieb. Er war in der Nacht vom 16. Juli auf den 17. Juli 2013 für die Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr bei einer Pause von 2:30 Uhr bis 3:00 Uhr eingeteilt. Am 17. Juli 2013 nahm der Kläger von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr an einer Betriebsratssitzung teil. Mit Rücksicht auf diese Betriebsratssitzung stellte er in der vorherigen Nachtschicht seine Arbeit um 2:30 Uhr ein. Ihm wurde für diese Nachtschicht von der Beklagten nur der Zeitraum bis 3:00 Uhr und von 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger u.a. die Gutschrift der beiden weiteren Stunden von 3:00 Uhr bis 5:00 Uhr verlangt. Die Klage hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts - ebenso wie zuvor beim Landesarbeitsgericht - Erfolg.

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats auch dann von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn eine außerhalb der Arbeitszeit liegende erforderliche Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat. Vorliegend war dem Kläger die Erbringung der Arbeitsleistung am 17. Juli 2013 jedenfalls ab 3:00 Uhr wegen der um 13:00 Uhr beginnenden Betriebsratssitzung unzumutbar, weil ihm bei Fortsetzung seiner Arbeit zwischen den Arbeitsschichten keine durchgehende Erholungszeit von elf Stunden zur Verfügung gestanden hätte.

Über eine weitere Klageforderung konnte der Senat nicht abschließend entscheiden. Insoweit wurde die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Januar 2017 - 7 AZR 224/15 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 20. Februar 2015 - 13 Sa 1386/14 -
BAG, Pressemitteilung Nr. 1/17

Schwerbehindertenvertretung muss vor Kündigung angehört werden

Zum 1. Januar 2017 ist das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG) in Kraft getreten. Die Vorschriften sollen die Situation von Menschen mit Behinderungen verbessern.

Wichtigste Neuerung: bei Kündigungen muss der Arbeitgeber nun auch die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung anhören. Eine Kündigung, die der Arbeitgeber ohne vorherige Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, ist damit unwirksam.

Grundsätzlich konnten sich schwerbehinderte Arbeitnehmer nach dem SGB IX bereits auf einen besonderen Kündigungsschutz berufen. Mit dem BTHG wird die Hürde einer Kündigung durch eine Änderung des § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX nun aber erhöht. Bereits seit dem 30.12.2016 gilt, dass für die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erforderlich ist. Bislang war dies zwar auch verlangt, jedoch keine Wirksamkeitsvoraussetzung.

Betriebsrat hat Mitbestimmungsrecht beim Facebook-Auftritt des Arbeitgebers

Ermöglicht der Arbeitgeber auf seiner Facebook-Seite für andere Facebook-Nutzer die Veröffentlichung von sogenannten Besucher-Beiträgen (Postings), die sich nach ihrem Inhalt auf das Verhalten oder die Leistung einzelner Beschäftigter beziehen, unterliegt die Ausgestaltung dieser Funktion der Mitbestimmung des Betriebsrats.

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin - ein Blutspendedienst - richtete bei Facebook eine Seite für Marketing ein. Bei Facebook registrierte Nutzer können dort Postings einstellen.

Nachdem sich Nutzer darin zum Verhalten von Arbeitnehmern geäußert hatten, machte der Betriebsrat geltend, die Einrichtung und der Betrieb der Facebook-Seite sei mitbestimmungspflichtig. Die Arbeitgeberin könne mit von Facebook bereitgestellten Auswertungsmöglichkeiten die Beschäftigten überwachen. Unabhängig davon könnten sich Nutzer durch Postings zum Verhalten oder der Leistung von Arbeitnehmern öffentlich äußern. Das erzeuge einen erheblichen Überwachungsdruck.

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen die Abweisung seiner Anträge durch das Landesarbeitsgericht hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg. Die Entscheidung der Arbeitgeberin, Postings unmittelbar zu veröffentlichen, unterliegt der Mitbestimmung. Soweit sich diese auf das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern beziehen, führt das zu einer Überwachung von Arbeitnehmern durch eine technische Einrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.

BAG, Beschluss vom 13. Dezember 2016 - 1 ABR 7/15 -

Vorinstanz: LAG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Januar 2015 - 9 TaBV 51/14 -

BAG, Pressemitteilung Nr. 64/16

Sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis im Anschluss an ein Heimarbeitsverhältnis ist zulässig

Ein Arbeitsvertrag kann auch dann ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren kalendermäßig befristet werden, wenn zwischen den Parteien zuvor ein Heimarbeitsverhältnis bestanden hat.

Die Klägerin war für die Beklagte in der Zeit vom 15. Juni 2009 bis zum 31. August 2010 als Heimarbeiterin tätig. Ab dem 1. September 2010 wurde sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten beschäftigt. Der zunächst für die Dauer von einem Jahr befristete Arbeitsvertrag wurde durch Ergänzungsvertrag vom 12. Mai 2011 bis zum 31. August 2012 verlängert. Die Klägerin hat die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auf Grund der Befristung am 31. August 2012 geendet hat.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Befristung des Arbeitsvertrags ist wirksam. Der Arbeitsvertrag konnte nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die Dauer von zwei Jahren ohne Vorliegen eines sachlichen Grunds befristet werden. Eine sachgrundlose Befristung ist zwar nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Ein Heimarbeitsverhältnis nach § 2 Abs. 1 HAG ist jedoch kein Arbeitsverhältnis im Sinne von § 14 Abs. 2 TzBfG.

BAG, Urteil vom 24. August 2016 - 7 AZR 342/14 -

Vorinstanz: LAG Köln, Urteil vom 14. Februar 2014 - 9 Sa 546/13 - Pressemitteilung des BAG Nr. 43/16

Ausschlussfrist gilt nicht für Mindestlohn

Eine vom Arbeitgeber als Allgemeine Geschäftsbedingung gestellte arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, die auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 der am 1. August 2010 in Kraft getretenen Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) erfasst, verstößt im Anwendungsbereich dieser Verordnung gegen § 9 Satz 3 in Verbindung mit § 13 AEntG*.

Sachverhalt

Die Klägerin war vom 15. Juli bis zum 15. Dezember 2013 beim Beklagten, der damals einen ambulante Pflegedienst betrieb, als Pflegehilfskraft beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt als Allgemeine Geschäftsbedingung eine Verfallklausel, nach der alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Bei Ablehnung oder Nichtäußerung der Gegenpartei binnen zwei Wochen nach der Geltendmachung sollte Verfall eintreten, wenn der Anspruch nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.

Die Klägerin war vom 19. November bis zum 15. Dezember 2013 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Beklagte hatte trotz ärztlicher Bescheinigung Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit und leistete keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. In dem von der Klägerin am 2. Juni 2014 anhängig gemachten Verfahren hat sich der Beklagte darauf berufen, der Anspruch sei jedenfalls wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision des Beklagten ist im Wesentlichen erfolglos geblieben. Die Klägerin hat für den durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Arbeitsausfall nach § 3 Abs. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Diesen musste sie nicht innerhalb der arbeitsvertraglich vorgesehenen Fristen geltend machen. Die nach Inkrafttreten der PflegeArbbV vom Beklagten gestellte Klausel verstößt gegen § 9 Satz 3 AEntG und ist deshalb unwirksam, so dass der Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV nicht wegen Versäumung der vertraglichen Ausschlussfrist erlischt. Für andere Ansprüche kann die Klausel nicht aufrechterhalten werden, weil dem das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB** entgegensteht.

BAG, Urteil vom 24. August 2016 - 5 AZR 703/15 -

Vorinstanz: LAG Niedersachsen, Urteil vom 17. September 2015 - 6 Sa 1328/14 -

*§ 9 AEntG lautet:

"Ein Verzicht auf den entstandenen Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 8 ist nur durch gerichtlichen Vergleich zulässig; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf das Mindestentgelt nach § 8 ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs können ausschließlich in dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nach den §§ 4 bis 6 oder dem der Rechtsverordnung nach § 7 zugrunde liegenden Tarifvertrag geregelt werden; die Frist muss mindestens sechs Monate betragen."

*§ 13 AEntG lautet:

"Eine Rechtsverordnung nach § 11 steht für die Anwendung der §§ 8 und 9 sowie der Abschnitte 5 und 6 einer Rechtsverordnung nach § 7 gleich."

**§ 307 Abs. 1 BGB lautet:

"Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist."

Pressemitteilung des BAG Nr. 44/16

Urlaub kann nach Kündigung verfallen

Auch nach erfolgter Kündigung kann Urlaub gewährt werden und ist dieser zu beantragen, um den Verfall zu verhindern. Der Arbeitgeber muss ihn nicht von sich aus gewähren.

Der Kläger hatte während des laufenden Rechtstreits aufgrund der Kündigung im Jahr 2013 keinen Urlaub genommen.

Der Kläger begehrt nun die Gewährung des Urlaubs aus dem Jahr 2013, hilfsweise die Feststellung des Bestehens eines Urlaubsanspruches im Umfang von 30 Urlaubstagen aus dem Jahr 2013. Der Kläger ist der Auffassung, sein Urlaub sei nicht verfallen. Grundsätzlich verfällt der Urlaubsanspruch mit Ablauf des Kalenderjahres, wenn er nicht genommen wird.

Eine Übertragung des Urlaubs bis zum 31.03. des Folgejahres kommt nur in Betracht, wenn es einen Grund für die Übertragung gibt. Vorliegend verneinte das Gericht einen gesetzlichen Übertragungsgrund Weder persönliche noch betriebliche Gründe hätten den Mitarbeiter im Jahr 2013 daran gehindert, seinen Urlaub zu nehmen. Insbesondere der Kündigungsrechtsstreit habe den Kläger nicht daran gehindert, seinen Urlaub im Jahr 2013 zu nehmen.

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 20. April 2016 k 11 Sa 983/15 k

Arbeitsunfall im "home office"

Erleidet ein Arbeitnehmer während der Arbeitszeit im "home office" einen Unfall, iliegt ein Arbeitsunfall nur dann vor, wenn sich der Unfall auf einem "Betriebsweg" innerhalb der Wohnung ereignet und nicht im "persönlichen Lebensbereich".

Sachverhalt

Die Klägerin arbeitete aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber in einem gesonderten Raum im Dachgeschoss ihrer Wohnung an einem Telearbeitsplatz. Sie verließ den Arbeitsraum, um sich in der Küche, die einen Stock tiefer lag, Wasser zu holen. Dabei rutschte sie auf der in das Erdgeschoss führenden Treppe aus und verletzte sich. Die beklagte Unfallkasse hat das Vorliegen eines Arbeitsunfalls verneint und das SG die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Beklagte auf die Berufung der Klägerin hin verurteilt, einen Arbeitsunfall anzuerkennen.

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat am Dienstag, dem 5. Juli 2016, nach mündlicher Verhandlung auf die Revision der Beklagten das erstinstanzliche Urteil wieder hergestellt und entschieden, dass kein Arbeitsunfall vorlag. Die Klägerin befand sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem Betriebsweg. Sie ist auf dem Weg von der Arbeitsstätte zur Küche und damit in den persönlichen Lebensbereich ausgerutscht. Diesen Weg hat sie nicht zurückgelegt, um ihre versicherte Beschäftigung auszuüben, sondern um Wasser zum Trinken zu holen. Damit ist sie einer typischen eigenwirtschaftlichen, nicht versicherten Tätigkeit nachgegangen. Anders als Beschäftigte in Betriebsstätten außerhalb der eigenen Wohnung unterlag die Klägerin dabei keinen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen. Zwar führt die arbeitsrechtliche Vereinbarung von Arbeit in einem sog. "home office" zu einer Verlagerung von den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich. Eine betrieblichen Interessen dienende Arbeit "zu Hause" nimmt einer Wohnung aber nicht den Charakter der privaten, nicht versicherten Lebenssphäre. Die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken hat auch nicht der Arbeitgeber, sondern der Versicherte selbst zu verantworten. Den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung ist es außerhalb der Betriebsstätten ihrer Mitglieder (der Arbeitgeber) kaum möglich, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Daher ist es sachgerecht, das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko den Versicherten und nicht der gesetzlichen Unfallversicherung, mit der die Unternehmerhaftung abgelöst werden soll, zuzurechnen.

BSG, Urtei v. 05.07.2016l, Az.: B 2 U 2/15 R Medieninformation Nr. 15/16 v. 05.07.2016

Arbeitsunfall auf Weihnachtsfeier

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung gem. § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert.

Hierfür ist zunächst erforderlich, dass die Veranstaltung "im Einvernehmen" mit der Betriebsleitung stattfindet.

Darüber hinaus forderte das BSG bisher als weiteres Kriterium für versicherte betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen, dass die Unternehmensleitung persönlich an der Feier teilnehmen muss. Diese weitere Voraussetzung hält das BSG mit dem aktuellen Urteil nun nicht mehr für erforderlich.

Sachverhalt

Die Klägerin ist als Sozialversicherungsfachangestellte bei der DRV in der Dienststelle Kassel beschäftigt, die insgesamt 230 Mitarbeiter hat. Bei einer Dienstbesprechung, an der der Dienststellenleiter teilnahm, wurde beschlossen, dass auch im Jahre 2010 wie in den Jahren zuvor sachgebietsinterne Weihnachtsfeiern stattfinden durften. Diese Weihnachtsfeiern der Sachgebiete durften jeweils frühestens um 12.00 Uhr beginnen und waren durch Betätigung der Zeiterfassung zu dokumentieren. Der Büroleitung waren die Termine sowie der voraussichtliche Beginn rechtzeitig bekannt zu geben. Die Teilnehmer erhielten eine Zeitgutschrift in Höhe von 10 % der wöchentlichen Arbeitszeit. Die Sachgebietsleiterin kündigte die Veranstaltung an und lud alle Mitarbeiter des Sachgebiets ein. Nach einem gemeinsamen Kaffeetrinken in den Räumen der Dienststelle machten sich die teilnehmenden zehn Personen, darunter die Sachgebietsleiterin, auf den Weg zu einer gemeinsamen Wanderung, auf der die Klägerin ausrutschte und sich Verletzungen zuzog. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Das SG hat festgestellt, dass das Unfallereignis ein Arbeitsunfall war. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat am Dienstag, dem 5. Juli 2016 nach mündlicher Verhandlung das Urteil des LSG aufgehoben und festgestellt, dass es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist auch die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung als Ausprägung der Beschäftigtenversicherung gem. § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert. Hierfür war bereits nach bisheriger Rechtsprechung zunächst erforderlich, dass die Veranstaltung "im Einvernehmen" mit der Betriebsleitung stattfand. Für ein solches "Einvernehmen" reicht es aus, wenn der Dienststellenleiter in einer Dienstbesprechung mit den jeweiligen Sachgebietsleitern vereinbart, dass die jeweiligen Sachgebiete Weihnachtsfeiern veranstalten dürfen und weitere Festlegungen (Beginn, Zeitgutschrift etc.) getroffen werden. Durch die Gesamtheit dieser zudem seit Jahren praktizierten Vereinbarungen wird hinreichend deutlich, dass die Feiern der einzelnen Sachgebiete im Einvernehmen mit der Behördenleitung und damit im dienstlichen Interesse stattfanden. Soweit das BSG bislang als weiteres Kriterium für versicherte betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen darauf abgestellt hat, dass die Unternehmensleitung persönlich an der Feier teilnehmen muss, wird hieran nicht länger festgehalten. Betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen stehen unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung, weil durch sie das Betriebsklima gefördert und der Zusammenhalt der Beschäftigten untereinander gestärkt wird. Dieser Zweck wird auch erreicht und gefördert, wenn kleinere Untergliederungen eines Betriebes Gemeinschaftsveranstaltungen durchführen. Die Teilnahme der Betriebsleitung oder des Unternehmers persönlich ist hierfür nicht erforderlich. Ausreichend ist daher, wenn durch eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung die Verbundenheit und das Gemeinschaftsgefühl der Beschäftigten in dem jeweiligen Sachgebiet oder Team gefördert wird. Notwendig ist dafür lediglich, dass die Feier allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des jeweiligen Teams offen stand und die jeweilige Sachgebiets- oder Teamleitung teilnimmt. Dies war hier der Fall, weil die von der Dienststellenleitung ermächtigte Sachgebietsleiterin alle Beschäftigten ihres Sachgebiets eingeladen hatte und die Feier durchführte. Auf die tatsächliche Anzahl der Teilnehmenden kommt es nicht an.

BSG, Urteil v. 05.07.2016, Az.: B 2 U 19/14 R Medieninformation Nr. 14/16 v. 05.07.2016

Mitbestimmung beim BEM

Die Mitbestimmung des Betriebsrats beim betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) bezieht sich nur auf die Grundsätze für das Verfahren das BEM. Der Betriebsrat kann nicht erzwingen, dass das BEM-Verfahren von einem Gremium durchgeführt wird, in dem auch Betriebsratsmitglieder vertreten sind.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erfasst aufgrund der Rahmenvorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur die Aufstellung von Verfahrensgrundsätzen zur Klärung der Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann.

Die Betriebsparteien streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs. In diesem ist für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) die Bildung eines Integrationsteams vorgesehen, welches sich aus je einem Vertreter des Arbeitgebers und des Betriebsrats zusammensetzt. Dieses hat das bEM mit dem betroffenen Arbeitnehmer durchzuführen, konkrete Maßnahmen zu beraten und dem Arbeitgeber vorzuschlagen sowie den nachfolgenden Prozess zu begleiten. Mit dem von ihr eingeleiteten Verfahren will der Arbeitgeber die Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle festgestellt wissen.

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen die stattgebende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts blieb vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Die Einigungsstelle hat ihre Zuständigkeit überschritten. Ihr Spruch hat sich nicht auf die Ausgestaltung eines bEM beschränkt, sondern die Beteiligung des Integrationsteams an der allein dem Arbeitgeber obliegenden Umsetzung der Maßnahmen vorgesehen.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss v. 22. März 2016 - 1 ABR 14/14 - Vorinstanz: LAG Hamburg, Beschluss v. 20. Februar 2014 - 1 TaBV 4/13 -

Pressemitteilung des BAG Nr. 16/16

BR-Wahl 2022

Alle Änderungen der BR-Wahl 2022 durch das BetriebsrätemodernisierungsG und die Neufassung der Wahlordnung finden Sie hier als PDF.